Cover
Titel
Das Frühe Sparta.


Herausgeber
Luther, Andreas; Meier, Mischa; Thommen, Lukas
Erschienen
Stuttgart 2006: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Link, Historisches Institut, Universität Paderborn

Ganz allgemein ist das Interesse an Sparta und seiner Geschichte in den letzten Jahren stark gestiegen, und für den deutschsprachigen Raum gilt dies im Besonderen. Das mag, wie der letzte Beitrag aus dem zu besprechenden Sammelband nahe legt, als Reaktion darauf zu verstehen sein, dass dieses Thema in Deutschland bis in die 1980er-Jahre hinein quasi als tabu galt – sicherlich eine Folge der missbräuchlichen Indienstnahme, durch die Sparta vor 1945 zu einer geradezu "zeitlosen Polis und zur Metapher eines neuen deutschen (!) Staates" geworden war (Rebenich, S. 205). Das derzeitige besondere Interesse am "Frühen (!) Sparta" jedenfalls entspringt ganz offensichtlich dem Bedürfnis, die Eigenarten der Stadt am Eurotas nicht länger aus fremden, sondern aus ihren eigenen historischen Wurzeln herzuleiten. Dem neuen Interesse entspricht, wie auch die hier vorgelegte Zusammenstellung von 10 Tagungsbeiträgen zeigt, eine vielfältige, im einzelnen wie auch im Gesamtbild bisweilen stark divergierende Forschungslage.

Um das Gesamturteil vorwegzunehmen: Es ist eine Freude, diesen Sammelband zu besprechen. Offenkundig in erster Linie für den Fachmann erarbeitet und daher zumeist aufs engste der aktuellen Forschungs- und Detaildiskussion verpflichtet, kann er aufgrund der Prägnanz der Ausführungen und ihrer exemplarischen Bedeutung für die (früh-)spartanische Geschichte doch auch bestens für den Neueinstieg ins Thema dienen – zumal das erste Kapitel von Lukas Thommen ("Einleitung: Überlegungen zum frühen Sparta") einen zwar kurzen, aber übersichtlichen Abriss zur Forschungslage bietet. Auch mit seiner unmittelbar anschließenden Untersuchung zum "Territorium des frühen Sparta" bewegt Thommen sich im Bereich der derzeitigen Erkenntnisse, auf deren Grundlage er feststellen kann, dass schon das frühe Sparta neben spektakulären Privatfehden und Beutezügen einzelner Adliger den bewussten, gemeinschaftlich organisierten Zugriff auf fremdes Territorium kannte (S. 25).

Sicherlich zu Recht betont Karl-Wilhelm Welwei in seinen "Überlegungen zur frühen Helotie in Lakonien", dass die lakonische Helotie das Vorbild abgab, an dem man sich bei der Institutionalisierung der messenischen orientierte (S. 29; man mag sich daher fragen, ob Thommens beiläufig eingestreute Bemerkung, die moderne Forschung habe "stets" zwischen lakonischen und messenischen Heloten unterscheiden zu müssen geglaubt, so zutrifft, S. 16). Und wahrscheinlich ebenfalls zu Recht weist er die Thesen von Birgalias und Luraghi zurück, nach denen die Helotie nicht die Folge einer kriegerischen Unterwerfung war. Wie schwierig jede Argumentation auf diesem Feld jedoch bleibt, zeigt schon seine Feststellung, dass eine gemeinschaftliche, großflächige Erschließung der südlakonischen Brachen "auf jeden Fall" "wohl" auszuschließen sei (S. 35). Auch fragt man sich, ob das homerische Gut des Laertes wirklich als Modell taugt, um die Genese der Helotie zu begreifen (S. 36) – Laertes hätte, allein auf seine gekaufte Sikelerin gestützt, gegen eine einheimische, unterworfene Bevölkerung wohl wenig Chancen gehabt. Und immer wieder leidet die Argumentation darunter, dass die Vorstellung einer "kollektiven Versklavung" der Heloten und die eines anschließenden "kollektiven Eigentums" an ihnen vorbehaltlos in eins gesetzt werden. Selbst wenn das Letztgenannte fehlte, könnte es das Erste doch durchaus gegeben haben. Kurz: Ob die Helotie "als solche wohl kaum durch ein bestimmtes Konzept der Eroberer gleichsam kreiert worden" ist (S. 40), kann man sich durchaus noch fragen.

Sehr ansprechend plädiert Martin Dreher sowohl dafür, die spartanischen staatlichen Institutionen als Ergebnis eines willentlichen Schöpfungs- und Institutionalisierungsaktes zu sehen ("Natürwüchsig sind sie jedenfalls nicht entstanden", S. 44), als auch dafür, bei der historischen Deutung dieser Institution "die Primitivität der frühen spartanischen Verfassung" nicht aus den Augen zu verlieren, also nicht zu versuchen, ihr mit Parametern der späteren, ausgeprägten Verfassungseinrichtungen beikommen zu wollen. Methodisch bleibt der Ansatz freilich schwierig: Die Beweisführung, nach der nicht ein legalistisches, sondern ein schlichteres Verständnis angemessen sei, kommt nicht ohne eine Deutung genau der Quellen aus, deren Aussage strittig ist. Ein zwingender Beweis ist daher beinahe unmöglich; die Argumentation als ganze dürfte daher auf eine Fülle von Widersprüchen im einzelnen treffen.

Nicht dem frühen Sparta, sondern dem 4. Jahrhundert widmet sich die anschließende Untersuchung von A. Maffi zu "Recht und Rechtsprechung", ein hilfreicher, systematisch ordnender Überblick über das Spärliche, das unsere Quellen zu diesem Thema bieten. Am aufschlussreichsten ist hier sicherlich die Erkenntnis, dass die anakrisis in Sparta, anders als in Athen, nicht innerhalb, sondern außerhalb des eigentlichen Prozesses geführt worden zu sein scheint (S. 66ff.).

Weitreichende Erkenntnisse verbergen sich hinter dem unspektakulären Titel der Studie von Andreas Luther zum "Namen der Volksversammlung in Sparta". Sein voll und ganz überzeugendes Ergebnis: Es gab zwei verschiedene Bezeichnungen, von denen die erste, "ekklesia", die "normale" Volksversammlung bezeichnete, die zweite, "apella", die alljährlich nur einmal stattfindende Volksversammlung anlässlich der Apellaia, des Festes zu Ehren des Gottes Apoll (S. 80f.). Die Sprengkraft dieser Beobachtung liegt in der zusätzlichen Erkenntnis, dass die Apella diejenige Volksversammlung war, die auch die Jahresbeamten wählte – womit die Existenz der Ephoren (als obersten und einzig nennenswerten Jahresbeamten) für die Zeit der Rhetra erwiesen wäre, da sie vom "apellazein" spricht (S. 85). Dass Luthers Erkenntnisse weiter reichen, als er selbst ausführt, dass sie es insbesondere auch ermöglichen, das Verhältnis von Großer Rhetra und (vermeintlichem) Zusatz neu zu bestimmen, sei hier nur en passant vermerkt: Luthers Ergebnisse vorausgesetzt, eröffnete die Rhetra das Recht zur Wahl und unterband der "Zusatz" alles, was darüber hinausging, jedes Politisieren. So verstanden, könnten sich die beiden Teile um vieles harmonischer ineinander fügen, als man bisher dachte – was zudem dem Plädoyer von Dreher Genüge täte, dessen entsprechende Ausführungen (S. 56ff.) sich bequem mit Luthers Ergebnissen in Einklang bringen ließen. Dass der Kern von Luthers Erkenntnis, die Beamten wählende Funktion der Apella, allein auf einer Notiz des Hesych beruht, die schon in sich so spröde ist, dass man sie kaum versteht, und von der auch nur indirekt erschlossen werden kann, dass Hesych sie als ganze auf Sparta bezogen sehen wollte, sei dennoch vermerkt.

Mit reichem Ertrag widmet sich im folgenden Beitrag ("Die Macht über die Sprache") W. Schmitz der berühmten "lakonische Kürze", wobei er zeigen kann, dass dieser in Sparta besonders gepflegte Sprachstil vornehmlich dazu diente, "die höhere Autorität der Älteren abzusichern und die Jugend auf die gesellschaftlichen Normen einzuschwören" (S. 98). Darüber hinaus gelingen von diesem Ansatz her grundlegende Einsichten in prägende spartanische Wesenszüge, wie etwa: "In Sparta (war) das Politische kein Aushandlungsprozess" (S. 93). Überzeugend gliedert er die Herausbildung dieses Phänomens in die Entwicklung ein, die Sparta seit seinen Erfolgen in den Messenischen Kriegen einzuschlagen gezwungen war (womit also auch diese Seite der spartanischen Identität bereits in der frühen Zeit verankert werden kann, S. 94 u. 108). Sein (wenig überzeugender) Exkurs über die "geschorene Braut" (S. 94) erweist sich für die Gesamtargumentation als überflüssig und kann sie daher nicht beeinträchtigen.

Ausführlich widmet sich Mischa Meier dem von Lukas Thommen vorgelegten Entwurf zu der Frage: "Wann entstand das Homoios-Ideal in Sparta?" – wenngleich er schließlich (und wohl zu Recht) zu einem abweichenden Ergebnis gelangt: Nicht, wie Thommen meinte, erst im 5. Jahrhundert, sondern wesentlich früher, nämlich im zeitlichen Umfeld des Tyrtaios, so Meier, sei dieses Ideal (in Anlehnung an homerische Vorbilder) entstanden und bald darauf auch bewusst nach außen propagiert worden (S. 120). Wie bereits Schmitz die "lakonische Kürze", verankert damit auch Meier die typische, spezifisch spartanische "Gleichheit" im Bereich des "Aufgabenfeldes Messenien".

In einer aspektreichen, vielschichtigen Untersuchung gelingt es Hans v. Wees in seinem Beitrag "The Oath of the Sworn Bands", aus dem bekannten, inschriftlich erhaltenen "Eid, den die Athener schworen, als sie darangingen, die Barbaren zu bekämpfen" Schicht um Schicht einen spartanischen Kern herauszuarbeiten, der diesem Eid (oder dieser Fälschung; die Echtheitsfrage stellt sich bei v. Wees' Ansatz nicht als zentral dar) zugrunde lag: den Schwur der Enomotie aus der Zeit der Perserkriege. Vermag seine Argumentation auch nicht in allen Einzelheiten zu überzeugen1, so gelingt ihm doch eine beeindruckende Nachzeichnung der Entwicklung, die dieser Eid von seinen spartanischen Wurzeln auf dem Weg durch die athenische Propaganda bis hin zu seinem ganz und gar entstellten Niederschlag in unseren literarischen Quellen nahm. Die (sicherlich zutreffende) frühe Datierung des typisch spartanischen Ethos (S. 132, 153) fällt bei dieser Untersuchung gleichsam als Nebenprodukt mit ab.

Das Verhältnis von "Polis und Gastfreundschaft" untersucht Ernst Baltrusch mit dem Ergebnis, dass in Sparta nicht nur eine radikale Vorordnung der städtischen Außenpolitik gegenüber den halb-privaten Gastfreundschaften einzelner Familien herrschte, sondern dass diese Außenpolitik auch durch eine isolationistische Note geprägt war (S. 171f.). Überzeugend demonstriert er die Rolle, die der spartanische König Kleomenes als Drahtzieher dieser Politik spielte. Ob Kleomenes damit wirklich eine Neuorientierung vornahm (wie Baltrusch will), ist schwer zu entscheiden; jedenfalls sind die Beispiele für eine frühere, stärker nach außen orientierte spartanische Politik (S. 174f.) weder zahlreich noch sehr eindrucksvoll.

Den Abschluss bildet der Beitrag von Stefan Rebenich über "Leonidas und die Thermopylen", in dem er anhand dieses Beispiels – eines besonders geeigneten Falls, da die Heldentat des Leonidas unter rein sachlichen Gesichtspunkten so ambivalent und das Feld daher für Zeitgebundenes recht offen ist – zeithistorisch bedingte Ausformungen im deutschen Sparta-Bild der letzten 250 Jahre eindrucksvoll vor Augen führen kann. Zu bedauern bleibt hier allenfalls, dass das Ziel, "Besonderheiten (!) in der Entwicklung der deutschen (!) Altertumswissenschaft" vor Augen zu führen (S. 195), mit Hilfe des einen oder anderen Vergleichs mit nicht-deutschen Arbeiten wohl anschaulicher zu erreichen gewesen wäre. Doch schmälert dies weder seinen eigenen Beitrag noch den des Sammelbands als ganzem, der vielmehr, wie bereits eingangs herausgestellt, als durchweg gelungen gelten darf.

Anmerkung:
1 Vgl. etwa S. 130f.: Tyrtaios sprach mit Blick auf die spartanische Herrschaft über die Heloten nicht, wie v. Wees unterstellt, von einer wie auch immer verstandenen Form von "Freiheit".

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension